Donnerstag, 30. März 2006

Max Hellmann fordert Hitler´s Vorladung als Zeuge

"Der Fuehrer wuenscht keine besonderen Massnahmen." So lautet die Aktennotiz des Reichsjustizministers Gurtner nach einem Gespraech mit Hitler am 8. April 1938 in Linz uber den Fall des Leipziger Rechtsanwalts Max Hellmann.
Max Hellmann wurde am 27. Mai 1884 in Leipzig als einziges Kind juedischer Eltern geboren. Sein Vater, der Kaufmann Otto Hellmann, starb erst 61jaehrig 1916 in Leipzig. Die Mutter Hedwig geborene Werner wurde 81 Jahre alt und starb 1942 im juedischen Pflegeheim in der Leipziger Farberstrasse.

Der Sohn Max besuchte die renommierteste Bildungseinrichtung Leipzigs, die Thomasschule, wo er im Jahr 1903 das Abitur ablegte. In den Jahren von 1904 bis 1908 studierte Hellmann Jura und war anschliesend bis 1912 als Referendar taetig. Im gleichen Jahr legte er erfolgreich die zweite juristische Staatsprufung ab und wurde am 1. April 1913 als Rechtsanwalt beim Amts- und Landgericht Leipzig zugelassen.
Max Hellmann war seitdem als Einzelanwalt taetig. Seine Praxis,wie auch seine Wohnung, befand sich im eigenen Haus in der Nathalienstrase 6. Die Schwerpunkte seiner anwaltlichen Taetigkeit lagen im zivil- und strafrechtlichen Bereich. Es ist nicht ersichtlich, dass Max Hellmann vor 1933 als Anwalt einmal besonders hervorgetreten ist. Irgendwelche Beanstandungen seiner Tatigkeit hat es aber offensichtlich ebenfalls nicht gegeben.
Rechtsanwalt Hellmann gehoerte keiner politischen Partei an und bezeichnete sich selbst als deutschnational eingestellt.
Im Jahr 1937 soll sein monatliches Einkommen nur noch 100,00 RM – spaeter nur noch 60,00 RM – betragen haben.
Im Jahr 1924 war Max Hellmann zum evangelisch-lutherischen Glauben uebergetreten. Er heiratete die nichtjuedische Elsa Haferkorn, die frueh und unerwartet am 14. Mai 1936 in Leipzig verstarb.
Aus der Ehe waren keine Kinder hervorgegangen.
So blieb Max Hellmann in tiefer Trauer und ohne den relativen Schutz einer so genannten "Mischehe" zurueck. Da er nicht gewohnt war, sich selbst zu versorgen, benoetigte er Unterstuetzung bei der Haushaltsfuehrung. Ihm stand eine 53jaehrige nichtjuedische Aufwartefrau zur Seite. Sein Essen wurde jedoch von einer 34jaehrigen ebenfalls nichtjuedischen Hilfe zubereitet.
Deshalb sollte Max Hellmann gegen das Blutschutzgesetz verstosen haben.
Hieraus entwickelte sich der "Fall Hellmann" ueber welchen im April 1938 schlieslich Hitler und Gurtner sprachen.

Die in den Akten geschilderten Vorgange, aus welchen sich allerdings die Gefuehlslage und Motivation des Angeklagten nicht zweifelsfrei feststellen lassen, nehmen sowohl hochdramatische,
wie auch schwejkische Zuge an.

Im November 1937 war Max Hellmann die Anklageschrift des Oberstaatsanwalts beim Landgericht Leipzig v. 30. Oktober 1937 zugestellt worden. Hiernach wurde ihm vorgeworfen,
"im Jahre 1937 in Leipzig als Jude eine weibliche Staatsangehoerige deutschen Blutes unter 45 Jahren in seinem Haushalt beschaeftigt zu haben.
Vergehen nach §§ 3, 5 Abs. 3 des Blutschutzgesetzes vom 15.9.1935

Es kann nur gemutmasst werden, warum Max Hellmann auf diese Anklageschrift in einer Weise reagierte, die die Nationalsozialisten als Provokation empfinden mussten. Sein Vorgehen gleicht teilweise dem eines Amoklaufers, der nichts mehr zu verlieren hat. Es kann eigentlich nicht angenommen werden, dass der hochgebildete Rechtsanwalt tatsaechlich an den "Erfolg" seines Vorgehens glaubte. Andererseits muss ihm die akute Gefahr,in die er sich brachte, wohl bewusst gewesen sein.

Jedenfalls hat Max Hellmann, sich selbst verteidigend, in seiner Erwiderungsschrift auf die Anklage v. 13. November 1937 beantragt,den Fuehrer zur Hauptverhandlung als Zeugen mit folgender
Begruendung zu laden:

"Das Beweisthema wuerde lauten:
Der Fuehrer soll auf meinen Vorhalt in der Hauptverhandlung als Zeuge den Inhalt seiner Reden bekunden, dass sein Wille einzig und allein in den Gesetzen und Verordnungen verankert sei.
Der Wortlaut sei so einfach klar dem kleinen Mann verstaendlich,dass daran nichts zu deuteln sei. Deutelungen seien lediglich Wunschgedanken einzelner, die nun Martyrer schaffen, nicht
aber seinem Willen folgen

Nachdem der Antrag umgehend und erwartungsgemas abgelehnt worden war, hat Max Hellmann am 17. Dezember 1937 den Gerichtsvollzieher beauftragt, dem "Fuehrer und Reichskanzler" eine Zeugenladung gemaess ¿ 220 StPO zuzustellen.
Mit der Begruendung, dass Hitler gemas ¿ 49 StPO nicht geladen werden koenne, hat der Gerichtsvollzieher auf entsprechende Anweisung des OLG-Prasidenten die Zustellung abgelehnt.
Daraufhin hat Hellmann am 29. Dezember eine briefliche Ladung unmittelbar zugestellt. Zur Begrundung der Zeugenladung fuehrt er aus, dass die 34jahrige Frau in seiner Wohnung "fuer sich,
fur ihren eigenen Haushalt" Kartoffeln gekocht habe. Dies sei nach dem klaren Gesetzeswortlaut jedoch nicht strafbar.

Hitler wurde in der Ladung aufgefordert, die Zimmernummer des Verhandlungssaales beim Wachtmeister zu erfragen. Er wurde gleichzeitig bereits darauf hingewiesen, dass seine Ent-
lassung nach der Vernehmung nicht erfolgen koenne, da Fragen an den Zeugen noch bis direkt vor Verkuendung des Strafurteils moeglich werden. Diese Formulierungen wurden als Verhoehnung Hitlers spaeter in der Nazi-Presse besonders scharf angegriffen.

Max Hellmann wurde bereits am 6. Januar 1938 vorlaufig festgenommen und kam schliesslich am 31. Januar 1938 in Untersuchungshaft.
Am 15. Januar 1938 hatte die Hauptverhandlung vor dem Schoeffengericht Leipzig in der Elisenstrase stattgefunden. Dem Angeklagten wurde seitens des Staatsanwaltes die persoenliche Ladung Hitlers wiederholt vorgehalten. Er soll hierauf zu seiner Verteidigung erwidert haben:
"Es habe ihm vollkommen fern gelegen,den Fuehrer und Reichskanzler zu kraenken oder etwa mit der Absicht
zu handeln, ihn in seiner Ehre zu kraenken. Er habe im Gegenteil seine Hochachtung zum Ausdruck bringen wollen.

Max Hellmann wurde wegen Verstoses gegen das Blutschutzgesetz zu zwei Monaten Gefaengnis verurteilt.
Als bei der vorangegangenen Durchsuchung seiner Wohnung ein Schreiben an Hitler v. 24.2.1936 vorgefunden worden war,kamen nach Aktenlage erstmals Zweifel an der Zurechnungsfahigkeit
des Leipziger Rechtsanwalts auf.

Der Inhalt dieses Briefes ist tatsaechlich Ausdruck einer verzweifelten Selbstkasteiung eines deutschen Rechtsanwaltes, der sich zu Unrecht als Jude diffamiert fuehlt.
Sein verstorbener Vater sei ein Fanatiker gegen das Ostjudentum gewesen.
Er soll gesagt haben: "Die Ostjuden werden, wenn wir sie weiter so in Deutschland einziehen lassen, unser Deutschland verjuden und die deutschen Juden langsam entdeutschen
Der Vater habe seine deutsche Gesinnung an ihm ausgelassen.Deshalb erhielt er privaten Religionsunterricht in rein deutscher Sprache.
Im 16. Jahrhundert hatten zahlreiche Arier, um das Hebraische besser studieren zu konnen, die juedische Religion angenommen.
Das geriet dann jedoch in Vergessenheit. Zu diesen Menschen hatten die Vorfahren seines Vaters gehoert. Anders sei dessen arisches Herz und seine deutsche Gesinnung nicht zu erklaren. Max
Hellmann bat Hitler, ihn "aus dem Judentum herauszunehmen"!
Und weiter schreibt er woertlich:
"Und wenn ich infolge Fehlens jeder Beweismittel einen ablehnenden Bescheid erhalte, dann kann ich nur wuenschen, dass es der medizinischen Wissenschaft
bald gelingen moege, am lebenden Menschen die Herzen
auszutauschen, so mein nur deutsch empfindendes Herz irgend einem Manne einzupflanzen, der auf der Strase feste "Heil Hitler!" bruellt und so wenig deutsch empfindet, dass er als arischer
Deutsch-Germane erst noch geschult werden muss."

Ein medizinisches Gutachten stellte "angeborene Anomalien,die sich vorwiegend auf dem Gebiete des Gemuts- und Willenslebens zeigen" fest.

Warum sich derartige "angeborene Anomalien" bei dem 54jahrigen vor 1933 in keiner Weise gezeigt haben, wird aber nicht ausgefuehrt.

Am 28. Januar 1938 wurde Max Hellmann dem Oberstaatsanwalt auf Anordnung der Gestapo Dresden zugefuehrt. Auf dessen Antrag erging am 1. Februar wegen der Zeugenladung Hitlers ein Haftbefehl
wegen Vergehens nach ? 2 Abs. 1 und 2 Heimtueckegesetz.
Auch gegen diesen Haftbefehl legte der Leipziger Rechtsanwalt Beschwerde ein, die natuerlich vom zustaendigen Sondergericht Freiberg zurueckgewiesen wurde.
In der Klageschrift stellt der zustaendige Oberstaatsanwalt beim Sondergericht fur das Land Sachsen fest:
Im Uebrigen erheischen die selbst fur einen Juden unerhorte Unverschaemtheit und die kaum zu ueberbietende Dreistigkeit des Beschuldigten eine strenge Bestrafung.
Der "Stuermer" benutzte im Maerz 1938 diese Vorgaenge, um ein weiteres Mal unter der Ueberschrift "Juedische Herausforderung" ganzseitig gegen Juden seine infame Hetze zu betreiben.
Am 15. September 1938 genau drei Jahre nach Verkuendung der Nuernberger Gesetze erging gegen Max Hellmann das Urteil des Sondergerichts. Unter dem Vorsitz von Landgerichtsdirektor Friesicke wurde er zu einem Jahr Gefaengnis verurteilt. Zur
Verbuessung der Strafe wurde Max Hellmann in die Strafanstalt Bautzen verbracht.
Am 4. April 1938 erhob der Generalstaatsanwalt beim Ehrengericht der Rechtsanwaltskammer Anklage wegen der gleichen Beschuldigungen. Am 28. Mai 1938 wurde ein Vertretungsverbot nach ? 95 RRAO gegen Max Hellmann ausgesprochen. Mit Beschluss v. 12. Dezember 1938 wurde dieses Verfahren eingestellt,
weil der Reichsjustizminister zwischenzeitlich die Zulassung aller juedischen Rechtsanwaelte zum 30.11.1938 zurueckgenommen hatte.
Nach Verbuessung der Gefaengnisstrafe wurde Max Hellmann in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht, wo er am 13.10.1939 unter nicht bekannten Umstaenden den Tod fand. Als Todesursache ist vermerkt: "Lungenoedem, Degeneration des
Herzmuskels. Die Urne wurde auf dem alten juedischen Friedhof in der Berliner Strase beigesetzt.

Der im April 1938 geaeusserte Wunsch Hitlers war damit wohl in zynischer Weise erfuellt. Max Hellmann war keine "besondere" Behandlung zuteil geworden. Er teilte vielmehr das Schicksal
Millionen anderer, die keine Deutschen mehr sein durften.
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Wichtige Anmerkung:
Dieser oben einkopierte Artikel stammt nicht von mir, sondern von Rechtsanwalt Hubert Lang in Leipzig.
Erschienen und im Original nachzulesen hier:
BRAK Mitteilungen

Danke an RA Hubert Lang.
Herzliches Erinnern an den Mut und Charme eines aufrechten Menschen.
Trauern um Max Hellmann.

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